Zukunftstheater zeigt, wie Digitalisierung das Leben und Arbeiten verändern kann

Was kommt mit der Digitalisierung auf uns zu? Wiederaufnahme des Theaterstücks „Work Replace 4.0“ der Jungen Theaterakademie Offenburg in den Räumen des Kunstvereins.

Die Junge Theaterakademie Offenburg macht mit der Wiederaufnahme ihres Stückes „Work Replace 4.0“ ihrem Namen alle Ehre. In der ausverkauften Aufführung in den Räumen des Kunstvereins Offenburg am Freitagabend stellten die unter 30-Jährigen – darunter eine große Gruppe Auszubildender der Lahrer Firma Wagner Systems – den größten Anteil im Publikum, das am Ende ebenso beeindruckt wie begeistert applaudierte.

Verhandelt werden die Auswirkungen der Digitalisierung auf Leben, Arbeiten, Selbstverständnis, auf gesellschaftliche Bezüge, Politik und sogar auf unseren Körper. Kann man noch davon ausgehen, dass es einen weitgehenden gesellschaftlichen Konsens darüber gibt, dass Cochlea-Implantate, Herzschrittmacher oder High-Tech-Prothesen hilfreiche technische Unterstützung bei gesundheitlichen Problemen bieten, überkommt einen doch das Gruseln, wenn man in einem Video-Einspieler den farbenblinden Künstler Neil Harbisson kennenlernt, der – auf eigenen Wunsch hin – über eine in den Schädel implantierte Antenne Farben in Töne übersetzt bekommt. Kein Problem, wenn irgendein Freak sowas macht? Aber was ist, wenn plötzlich alle sich per implantiertem Chip optimieren, und ich es mir nicht leisten kann?

Wenn die Roboter die Arbeit machen, drohen uns Langeweile und Sinnkrise?
Und was ist, wenn wir uns zu sehr auf die Technik verlassen, diese aber sabotiert wird? Wenn ein simpler Kabelbrand – wie 2018 in Seoul geschehen – tagelang die digitale Infrastruktur einer Großstadt lahmlegt? Und wenn alles funktioniert und die Roboter die Arbeit machen – was machen dann wir? Haben wir Zeit und Muße zur Selbstverwirklichung oder drohen uns Langeweile und Sinnkrise?

Das alles wird nicht theoretisch erörtert, sondern eindringlich in Spielszenen dargestellt, zu denen sich das Publikum – ausgestattet mit Helm, Kletterseil und Smartphone – in per Zufallsauswahl zusammengestellten Seilschaften auf den Weg machen muss. Im weitläufigen Georg-Dietrich-Areal, in dem die Inszenierung im vergangenen Sommer uraufgeführt wurde, kamen sich die Gruppen und Spielorte nicht so nahe wie jetzt in der Kunstvereingalerie. Vor allem akustisch ist das manchmal problematisch. Andererseits entsteht durch die Begegnung der mit Kopfleuchten ausgestatteten Seilschaften das schöne Gefühl, gemeinsam in einem Bergwerk oder Höhlensystem unterwegs zu sein.

Wer redet hier eigentlich, Mensch oder Avatar?
Die spielerischen Elemente der Inszenierung, die gängige Marketing-Ideen aufgreift, lassen dem Publikum keine Chance: Mitmachen ist gefragt, sei es mit der Beantwortung von Fragen oder als zufällig ausgewählter Gewinner eines bedingungslosen Grundeinkommens, dem ein Avatar eine Dankesrede einflüstert. Die Doppelbödigkeit dieser Serviceleistung wird allen Beteiligten schnell deutlich: Wären eigene, eher holprig gesprochene Worte nicht ehrlicher? Wer redet hier eigentlich?

Viele Facetten der Digitalisierung – positiv wie negativ – werden beleuchtet. Immer wieder ergeht die Aufforderung, einen Standpunkt dazu einzunehmen, Dinge zu hinterfragen, Folgen zu bedenken. Am eindringlichsten im letzten Bild, das als Gruppenszene allerdings am meisten unter der räumlichen Begrenztheit leidet. Am Beispiel des „social scorings“ und digitaler Totalüberwachung in China wird klar, dass simple Post-it-Zettelchen an einer Wand einem digitalen Post auf Facebook überlegen sein können. Und dass es bei der Digitalisierung um weit mehr geht als die Frage, ob WhatsApp-Gruppen nerven.

Digitales Programmheft unter https://workreplace.home.blog/ Wiederaufnahme ist für Herbst geplant.

Juliana Eiland-Jung, Badische Zeitung vom 20. Januar 2020

Foto: Christoph Breithaupt

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